Stellungnahme von co2online zur Verwendung von Heizspiegeln im Bereich des SGB

Immer wieder nutzen Job­center und Sozial­ämter den Heiz­spiegel, um die Angemessen­heit der Heiz­kosten von Haus­halten zu prüfen. Heiz­spiegel-Heraus­geber co2online wendet sich gegen diese Praxis. Denn der Heiz­spiegel eignet sich nicht zur Prüfung der Heiz­kosten von Wohnungen.

Die wichtigsten Fakten auf einen Blick

  • Heizspiegel eignen sich nicht zur Prüfung der Angemessenheit von Heizkosten einzelner Wohnungen
  • erhöhte Heizkosten haben oft Ursachen, die von Bewohner*innen nicht beeinflusst werden können
  • Warmwasser-Aufschlagswert im Heizspiegel bildet keinen realen Kostenwert ab

Das Bundes­sozial­gericht hat im Juli 2009 die Heiz­spiegel von co2online zur Beurteilung der Heiz­kosten von Empfänger*innen des Arbeitslosen­geldes II („Hartz IV“) heran­gezogen (Urteil vom 2. Juli 2009, Az.: B 14 AS 36/08). Seitdem nutzen Leistungs­träger – zum Beispiel Job­center oder Sozial­ämter – die Heiz­spiegel als Prüf­werk­zeug, um die Angemessen­heit von Heiz­kosten zu beurteilen. Dabei werden die Heiz­kosten einer Wohnung mit den Werten eines Kommunalen Heizspiegels oder, wenn nicht vorhanden, des Heizspiegels für Deutschland ver­glichen.

Als Grenz­werte wurden im Urteil die Heiz­spiegel-Werte der Kategorie „zu hoch“ (rote Spalte) benannt. Über­schreiten die tatsäch­lichen Heiz­kosten diesen Grenz­wert, deuten Leistungs­träger dies als Hinweis auf Unan­gemessen­heit. „Es obliegt in solchen Fällen dann dem Hilfe­suchenden, konkret vorzu­bringen, warum seine Auf­wendungen für die Heizung über dem Grenz­wert liegen, im jeweiligen Einzel­fall aber gleich­wohl noch als ange­messen anzu­sehen sind“, lautet der Wortlaut des Urteils.

Die gemein­nützige co2online GmbH, Heraus­geberin der Heiz­spiegel, kritisiert diese Ver­wendung der Heizspiegel. Der Zweck von Heiz­spiegeln ist es, den Heiz­energie­ver­brauch und die Heiz­kosten eines Wohn­gebäudes einzu­stufen. Die Ein­ordnung eines Wohn­gebäudes in eine der vier Kategorien (niedrig, mittel, erhöht, zu hoch; 10-40-40-10 Prozent) erlaubt Rück­schlüsse auf den wärme­tech­nischen Zustand des Hauses. Zum individuellen Heiz­verhalten der Bewohner*innen einer Wohnung liefert diese Ein­stufung keine Aussage.

Heizspiegel sind grund­sätzlich nur für zentral beheizte Wohn­gebäude und das Abrechnungs­jahr anwend­bar, das über den Vergleichs­werten im Heiz­spiegel aus­gewiesen ist. Sie eignen sich nicht, um einzeln beheizte Wohnungen einzu­stufen und die tat­säch­lichen Heiz­kosten einer Wohnung zu bewerten. Zudem sind die Werte nicht auf Energie­träger über­tragbar, die im Heiz­spiegel nicht aus­gewiesen werden.

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Berücksichtigung der Warm­wasser­bereitung im Heizspiegel

Der Heiz­spiegel für Deutsch­land (zuvor „Bundes­weiter Heizspiegel“) ent­hielt bis zur Ausgabe für das Abrechnungs­jahr 2012 keinen Warm­wasser­anteil. Seit dem Heiz­spiegel für das Abrechnungs­jahr 2013 sind in den Vergleichs­werten die Anteile für Raum­wärme und die Warm­wasser­bereitung ent­halten, weil inzwischen mehr als 90 Prozent der zentral beheizten Wohn­häuser auch eine zentrale Warm­wasser­bereitung haben. Für diese Häuser ist der Heiz­spiegel direkt anwend­bar.

Wenn der Heiz­spiegel für zentral beheizte Häuser mit dezentraler Warm­wasser­bereitung genutzt werden soll, muss des­halb ein Warm­wasser-Aufschlags­wert zum berechneten Vergleichs­wert addiert werden.

Dieser Warmwasser-Aufschlagswert lag zuletzt bei 24 Kilowattstunden (kWh) beziehungsweise 2,80 Euro pro Quadratmeter für Erdgas, Heizöl, Fernwärme und Holzpellets; für Wärmepumpen 9,6 kWh oder 3,05 Euro. In der Praxis wird häufig davon ausgegangen, dass dieser Wert einen realen Kostenwert für die dezentrale Warmwasserbereitung abbildet. Das ist nicht richtig. Der Warmwasser-Aufschlagswert macht das Haus lediglich im Heizspiegel vergleichbar, indem er für die dezentrale Warmwasserbereitung einen zusätzlichen Energieanteil pro Quadratmeter berücksichtigt und damit eine zentrale Warmwasserbereitung simuliert.

Der für die meisten Fälle mit 2,80 Euro angegebene Aufschlagswert für die Warmwasserkosten pro Quadratmeter berechnet sich aus einem durchschnittlichen Energiepreis von 12 Cent pro Kilowattstunde – ein Preismix aus Erdgas, Fernwärme und Holzpellets. In der Realität erfolgt die dezentrale Warmwasserbereitung jedoch oft mit Strom. Der durchschnittliche Strompreis 2023 betrug 43,4 Cent pro Kilowattstunde. Entsprechend müssten auf den Vergleichswert nicht 2,80 Euro, sondern 4,79 Euro aufgeschlagen werden. Die „angemessenen Kosten“ würden also deutlich höher liegen.

Zusammen­gefasst: Der Heiz­spiegel liefert Vergleichs­werte für zentral beheizte Wohn­gebäude mit zentraler Warm­wasser­bereitung. Häuser mit dezentraler Warm­wasser­bereitung werden mit Hilfe der Auf­schlags­werte für den Heiz­spiegel vergleich­bar gemacht. Der Heiz­spiegel für Deutsch­land bietet nicht die Möglich­keit, die Angemessen­heit des Warm­wasser­anteils bei dezentraler Warm­wasser­bereitung zu bewerten.

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Viele mögliche Ursachen für erhöhte Heizkosten

Die Höhe der Heiz­kosten hängt von drei Faktoren ab: dem Heizenergieverbrauch, den Brennstoffkosten und den Heiznebenkosten. Erhöhte Heiz­kosten können verschiedene Ursachen haben. In vielen Fällen haben Mieter*innen keinen Ein­fluss auf einen erhöhten Ver­brauch und erhöhte Kosten:

  • Häuser in schlechtem energe­tischen Zustand ver­brauchen mehr Heiz­energie als moderne oder modernisierte Gebäude.
  • Die Lage der Wohnung im Gebäude hat großen Ein­fluss auf den Heiz­energie­ver­brauch. So ver­brauchen Wohnungen im Erd­geschoss oder in Eck­lage unter dem Dach bis zu 35 Prozent mehr Heiz­energie als Wohnungen in Zwischen­geschossen. Anders gesagt: Je mehr Außen­wände eine Wohnung hat, desto mehr muss im Schnitt ge­heizt werden, besonders wenn die Wände nicht ge­dämmt und die Fenster nicht erneuert worden sind.
  • Defekte Bau­teile, zum Beispiel kaputte Fenster, können den Heiz­energie­verbrauch erhöhen.
  • Brenn­stoff­preise sind vom Welt­markt gegeben, Bewohner­*innen haben keinen Ein­fluss darauf.
  • Vermieter­*innen beein­flussen die Heiz­neben­kosten erheblich, beispiels­weise durch den mehr oder weniger wirtschaft­lichen Einkauf von Erdgas, Heizöl oder Mess­dienst- und Wartungs­leistungen. Auch die Betriebs­strom­kosten sind ab­hängig von der verbauten Technik.
  • Bei Fern­wärme haben Vermieter­*innen oft eine zu hohe Anschluss­leistung mit dem Energie­dienst­leister ver­einbart; dies führt zu über­höhten Kosten für Mieter*­innen. Häufig sind die Liefer­verträge lang­fristig und können nicht geändert werden.
  • Die gesund­heit­liche oder familiäre Situation der Bewohner­*innen kann höhere Raum­temperaturen oder längere Heiz­zeiten erforder­lich machen. Zum Beispiel in einem Haus­halt mit Kleinst­kindern oder alten Menschen oder wenn Bewohner­*innen ganz­tägig zu Hause sind. Damit steigen Heiz­energie­verbrauch und Kosten auto­matisch.

Von den vier Kategorien im Heiz­spiegel, in die sich der Heiz­energie­verbrauch eines Wohn­gebäudes ein­stuft, umfasst die (rote) Spalte „zu hoch“ die zehn Prozent der Gebäude mit dem höchsten Verbrauch. Spar­potenzial durch energetische Modernisierung weisen jedoch schon Gebäude ab der Kategorie „mittel“ auf.

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Aufgabe der Heizspiegel

Heiz­spiegel wurden bis zum BSG-Urteil im Jahre 2009 aus­schließlich im Umwelt­bereich ein­gesetzt. Auch heute kommen sie haupt­sächlich dort zum Einsatz. Das Ziel der Heiz­spiegel ist es, den energetischen Zustand eines Gebäudes einzu­schätzen. Dadurch sollen Nutzer*innen eine erste Orientierung erhalten, ob und in welchem Maße Modernisierungs­bedarf am Gebäude besteht oder Spar­potenzial vor­handen ist. Nur wenn Spar­potenziale genutzt werden, lassen sich über­höhte Heiz­kosten für die Bewohner­*innen ver­meiden. Und nur dann werden Haus­halte lang­fristig unab­hängiger von Energie­preis­erhöhungen.

co2online ist nach wie vor daran interessiert, ein örtlich differenzierbares, aber bundesweit nutzbares Werkzeug zur Bewertung von Heizenergieverbräuchen zu entwickeln, das für die Angemessenheitsprüfung der Heizkosten von Haushalten eingesetzt werden kann. Es haben bereits Gespräche mit Fachleuten stattgefunden, deren Ergebnisse in ein Konzept für ein geeignetes Vergleichswerkzeug einfließen könnten. Leider war es uns bisher nicht möglich, Fördergelder für ein derartiges Projekt einzuwerben. Wenn Sie Interesse daran haben, an einem solchen Vorhaben zu gegebener Zeit mitzuwirken, schreiben Sie uns bitte eine Nachricht. Wir nehmen Sie gern auf die Interessentenliste.

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Beispiele für Urteile von Sozialgerichten

Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 16. Februar 2010
AZ: S 45 AS 34/10 ER
Neuer Beschluss schränkt Heizspiegel-Nutzung ein
Die im Heizspiegel angegebenen Werte beziehen sich nur auf Gebäudeflächen von mehr als 100 Quadratmetern. Mit dem Beschluss AZ: S 45 AS 34/10 ER hat das Sozialgericht Lüneburg nun entschieden, dass der Heizspiegel nicht länger für Wohneinheiten bzw. Wohnungen, deren Fläche 100 Quadratmeter unterschreiten und die gleichzeitig über eigene Heizungsanlagen verfügen, herangezogen werden kann. Als Folge dieses Beschlusses ist damit zu rechnen, dass Leistungsempfänger*innen gegen als zu hoch eingestufte Heizkosten einen Widerspruch einlegen werden.

Sozialgericht Stuttgart, Beschluss vom 22. Juni 2012
AZ: S 18 AS 2968/12 ER
Heizkostenermittlung mit Heizspiegel für Wohnung mit Gaseinzelöfen und Stromradiatoren unwirksam
Sind sowohl im Heizspiegel einer Stadt als auch im bundesweiten Heizspiegel nur Daten über zentral mit Erdgas beheizten Wohnraum berücksichtigt, stellen diese Heizspiegel keine ausreichende Grundlage für die Ermittlung der Angemessenheit der Kosten für die Beheizung einer Wohnung mit Gaseinzelöfen und Stromradiatoren dar. Dies entschied das Sozialgericht Stuttgart und verpflichtete ein Jobcenter im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zur Übernahme der Heizkosten eines Leistungsempfängers.

Bundessozialgericht Kassel, Beschluss vom 04.06.2014
B 14 AS 53/13 R
Eine Satzung mit einer Gesamtangemessenheitsgrenze der Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung nach dem SGB 2 erfordert die realitätsgerechte Abbildung des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt sowohl für die Unterkunftsaufwendungen als auch für die Heizaufwendungen.
...Die aus den dargestellten praktischen Schwierigkeiten abgeleitete Notwendigkeit, den Grenzwert des Heizspiegels im Einzelfall heranzuziehen, erhellt, dass die Werte des bundesweiten (oder kommunalen) Heizspiegels etwas anderes als die Bestimmung abstrakt angemessener Heizkosten sind. Der Grenzwert markiert nicht angemessene Heizkosten, sondern gibt einen Hinweis darauf, dass im Einzelfall von unangemessenen Heizkosten auszugehen ist; das Überschreiten des Grenzwertes kann lediglich als Indiz für die fehlende Angemessenheit angesehen werden. Eine Absenkung der zu zahlenden Heizkosten kann auch bei Überschreiten des Grenzwertes nur aufgrund einer Angemessenheitsprüfung im Einzelfall erfolgen und die in Folge dieser Einzelfallprüfung zu zahlenden Heizkosten ergeben sich ohnehin nicht aus dem Heizspiegel. Die Werte des Heizspiegels geben nicht das tatsächliche Preisniveau auf dem Wohnungsmarkt wieder und sind deshalb nicht im Sinne eines abstrakt angemessenen Quadratmeterhöchstwerts für Heizkosten zu verstehen (BSG Urteil vom 12.6.2013 - B 14 AS 60/12 R, aaO, RdNr 23, 25, 32)...

Sozialgericht (SG) Hannover, Beschluss vom 17. Mai 2023
Az S 38 AS 1052/22
JobCenter hat höhere Heizkosten zu übernehmen, wenn diese auf außergewöhnlich stark gestiegenen Heizölpreisen beruhen.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat ­entschieden, dass das JobCenter im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende die tatsächlichen Heizölkosten zu übernehmen hat, wenn die höheren Aufwendungen für Heizöl nicht auf unwirtschaftlichem und unangemessenem Heizverhalten beruhen, sondern auf zwischenzeitlich außergewöhnlich stark gestiegenen Heizölpreisen.

Der Entscheidung lag der Fall eines alleinstehenden Klägers zugrunde, der ein circa 120 Quadratmeter großes, mit einer Ölheizung ausgestattetes Eigenheim zur Hälfte bewohnt und für die Heizperiode Oktober 2021 bis April 2022 die tatsächlich aufgewandten Heizölkosten in Höhe von 945,75 Euro begehrte anstelle der vom JobCenter nur in Höhe von 572,50 Euro gewährten.
Das JobCenter verweigerte die Zahlung der Differenz mit dem Hinweis auf den bundesweiten Heizspiegel für 2021 für einen Ein-Personen-Haushalt von maximal 572,50 Euro Brennstoffbeihilfe.

Die Kammer hat das JobCenter zur Zahlung des Differenzbetrages an Brennstoffbeihilfe für die Heizperiode Oktober 2021 bis April 2022 in Höhe von 373,25 Euro verurteilt. Dem Grenzwert aus einem Heizkostenspiegel komme nicht die Funktion einer Quadratmeterhöchstgrenze zu mit der Folge, dass bei höheren Heizkosten die Aufwendungen für Heizung nur bis zu dieser Höhe übernommen werden müssten. Das Überschreiten des Grenzwertes könne lediglich als Indiz für die fehlende Angemessenheit angesehen werden. Der Kläger hat aber nachgewiesen, dass seine höheren Aufwendungen für Heizöl nicht auf unwirtschaftlichem und unangemessenem Heizverhalten, sondern auf zwischenzeitlich außergewöhnlich stark gestiegenen Heizölpreisen beruhten. Denn während der Literpreis im Oktober 2021 noch 0,8695 Euro betrug, zahlte der Kläger im Februar 2022 1,75 Euro pro Liter Heizöl. Das Tanken von 700 Liter Heizöl für die Heizperiode 2021/2022 stellt für einen Ein-Personenhaushalt eher einen unterdurchschnittlichen Verbrauch dar. Dies werde daran deutlich, dass sich für die vom JobCenter angenommene Angemessenheitsgrenze von rund 570 Euro noch im Jahr 2020 bei einem durchschnittlichen Heizölpreis von knapp 0,53 Euro/Liter knapp 1100 Liter Heizöl kaufen ließen. Diesen Verbrauch hätte das JobCenter noch als wirtschaftlich angesehen, so dass ein tatsächlicher Verbrauch von 700 Liter Heizöl kein unwirtschaftliches Heizverhalten sein könne.

Sozialgericht Hannover, Urteil vom 17. Mai 2023 – Az S 38 AS 1052/22 – rechtskräftig, da nicht berufungsfähig

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